Weihnachten  - Ein Inspirationsfest

Innerhalb unseres Arbeitens in der geisteswissenschaftlichen Bewegung blicken wir vorwärts in die Zukunft der Menschheit, und durchdringen unsere Seelen und unsere Herzen  mit demjenigen , wovon wir glauben, daß es sich einverleiben soll in die Entwicklungsströmungen und in die Entwicklungskräfte der Menschenzukunft.
Auch wenn wir zu den großen Wahrheiten des Daseins aufblicken, aufblicken zu den Kräften , Mächten und Wesen, welche sich uns in der spirituellen Welt als Ursachen und Urgründe  dessen offenbaren, was uns in der äußeren Welt entgegentritt, auch da sind wir beseelt davon, daß die Wahrheiten, die wir aus den geistigen Welten herunterholen, allmählich sich einleben sollen und einleben müssen in die Seelen, in die Herzen der Menschen der Zukunft.
Um so mehr fühlen wir uns gedrungen, an den Festen, welche wie fixierte Erinnerungen an das, was die Vormenschheit erdacht und ersonnen hat, aus der Zeit und ihrem Wandel zu uns hereinragen, unsere Verbindung mit dieser Vormenschheit zu empfinden, ein wenig uns zu versenken in dasjenige, was aus den Seelen, aus den Herzen der Menschen der Vergangenheit dazu geführt hat, jene Feste in den Lauf der Zeiten hineinzustellen, welche uns als die Feste des Jahres erscheinen.
So ist das Weihnachtsfest ein Fest der Harmonieempfindung mit dem ganzen Kosmos, ein Fest der Gnadenempfindung, ein Fest, das uns auf den Menschenursprung in urferner Vergangenheit weist.
Bei einer solchen Gelegenheit kann man so recht sehen, wie die unbewußte oder unterbewußte Vernunft und Geistigkeit der Menschen weit höher steht als das, was der Mensch mit seinem Bewußtsein dann umschließen kann.
Wir haben oftmals Grund, dasjenige, was die Menschen aus den verborgenen Seelentiefen in der Vergangenheit festgesetzt haben, viel mehr zu bewundern als das, was sie festsetzen aus ihrem verstandesmäßigen Gedanken, und aus dem, was sie begrifflich  erfassen konnten.
Wie unendlich weise erscheint es uns, wenn wir den Kalender betrachten und für den 25. Dezember das Geburtstagsfest des Christus Jesus  finden und dann noch für den 24. Dezember „Adam und Eva“ verzeichnet sehen.

Anschaulich, vernünftig, geistig konnte einem das vor Augen treten aus dem dumpfen, unbewußten Schaffen im Mittelalter, wenn da oder dort die mittelalterlichen Weihnachtsspiele von den Leuten aufgeführt wurden. Wenn, wie man sie nannte, die „Singer“ zu ihren Weihnachtspielen zogen, da wurde der „Paradiesbaum“ vorangetragen.
Wie im Kalender “Adam und Eva“ vor dem Christ-Geburtstagsfest erschien, so erschien in den mittelalterlichen Weihnachtsspielen der Baum des Paradieses, der jener Truppe vorangetragen wurde, die zu Aufführung der Weihnachtsspiele ging. Also, es gab einmal etwas, was die tiefen verborgenen Seelenuntergründe der Menschen veranlaßte, irdischen Menschenanfang und Jesu-Geburtsfest unmittelbar zusammenzustellen.
Im Jahre 353 gab es selbst im kirchlichen Rom noch nicht den 25. Dezember als Jesu-Geburtstagsfest.
Denn 354 wurde zum ersten Male auch im kirchlichen Rom das Jesu-Geburtstagsfest am 25. Dezember gefeiert.
Vorher wurde etwas gefeiert, bei dem man ein ähnliches Bewußtsein hatte wie später an dem Jesu-Geburtstagsfest, nämlich der 6. Jannuar als der Tag der Erinnerung der Johannistaufe im Jordan, als der Tag, welcher der Gedenktag des Herunterkommens des Christus aus den spirituellen Höhen und des Sich-Versenkens des Christus in den Leib des Jesus von Nazareth war.
Im 4. Jhd. verstanden nur noch die Gnostiker die Tiefe dieser Weisheit durch das letzte Aufflackern ursprünglicher menschlicher hellseherischer Kräfte jener großen Geheimnisse, die wir uns wieder erobern müssen wie das Geborenwerden des Christus in dem Jesus von Nazareth bei der Johannistaufe im Jordan.
Und im 4. Jhd. war das abendländische Christentum längst nicht mehr imstande, diesen großen Gedanken zu verstehen. Daher hatte das eigentliche Erscheinungsfest des Christus in dem Jesus den Sinn für die abendländische christliche Kultur verloren.
Man hatte vergessen, was eigentlich dieses Erscheinungsfest, der 6. Jannuar bedeutet.
Und konnte man nicht begreifen, daß ein gegenüber der Menschheit Höchster sich offenbart hat in der Johannistaufe im Jordan, so konnte man doch, weil das dem materialistischen Bewußtsein nicht widersprach, noch begreifen, daß jene Leibesorganisation welche dazu ausersehen war, den Christus aufzunehmen, etwas Bedeutsames war.

Dazu rückte man die Geistgeburt, die eigentlich in der Johannistaufe im Jordan zutage trat, zurück zu der Kindesgeburt des Jesus von Nazareth und setzte das Jesusfest an die Stelle des Erscheinungsfestes.
Aber, wenn man es auch in den wenigsten Fällen klar aussprechen mochte, so lebten doch immer bedeutsame Empfindungen in dem, was das Weihnachtsfest der Menschheit wurde. Es lebte etwas Bedeutendes immer in der Menschenseele auf, wenn das Weihnachtsfest herannahte.
Der Mensch kann gegenüber allen Fährlichkeiten und Schicksalsschlägen in tiefster Seele an dem Gefühl von Liebe und Frieden gegenüber aller Disharmonie und allem Streit des Lebens sich an den Glauben an die Menschheit beleben.

Aber, was war es, woran man sich erinnerte?
Man kann an die Menschheit glauben, man kann zur Menschheit Vertrauen haben, so kann die Menschenseele empfinden, wenn ihr Gedanke sich hinlenken darf zu der Tatsache, was sich in die Menschheit hineinergossen hat von Adams Zeit bis in die Gegenwart, blickt man zurück auf das, was die alten Zeiten „Adam Kadmon“ genannt haben, was dann zum Christus-Begriff geworden ist, dann entflammt sich in der Menschenseele Vertrauen zur Richtigkeit der Menschenkraft, entflammt sich das Vertrauen in die ursprüngliche Friedens -und Liebesnatur der Menschheit.
Daher rückte das unterbewußte Seelische das Jesu-Geburtsfest unmittelbar zusammen mit dem Adam und Eva-Fest, indem der Mensch eigentlich in dem Christkindlein, das geboren wird, seine eigene Natur sieht, aber seine eigene Natur in ihrer Unschuld und Unverdorbenheit.
Oh, es ist ein wunderbarer Gedanke, der wie mit einer wunderbaren Empfindung zu unserer Seele sich vermählt, wenn wir sehen, wie in der Malerei, in den Weihnachtsspielen sich überall zeigt, wie vor dem Jesuskinde, vor dem göttlichen Kinde, vor dem göttlichen Ursprung des Menschen sich beugen die Wesen aller Erdenreiche.
Es tritt uns entgegen das wunderbare Krippenbild, wie sich die Tiere neigen vor dem Ursprungsmenschen; es gliedern sich daran jene wunderbaren Erzählungen wie etwa diese, daß als Maria das Jesuskind auf der Reise nach Ägypten getragen hat und die Grenze überschritten worden war , sich ein Baum gebeugt hat, ein uralter Baum vor Maria und dem Jesusknaben. Daß sich in einer merkwürdigen Weise in der Weihnachtsnacht die Bäume dem großen Ereignis beugen, tritt uns sagenhaft entgegen, in den Legenden fast ganz Europas.

Wir könnten nach Elsaß, nach Bayern gehen, überall treten uns die Legenden entgegen, wie gewisse Bäume Früchte tragen in der Weihnacht, wie sie sich neigen  in der Weihnacht: alles wunderbare Symbole, die ankündigen sollen, wie sich tatsächlich die Geburt des Jesuskindes offenbart als etwas, was mit dem ganzen Leben der Erde zusammenhängt.
Eine weitere Legende, die wir überall im Mittelalter verzeichnet finden, daß die Rosen von Jericho in der Christnacht aufsprießen und sich entfalten, weil sie sich zuerst entfaltet hatten unter den Schritten der Maria, die, als sie auf der Reise nach Ägypten den Jesusknaben trug, über eine Stelle geschritten ist, wo ein Rosenstauch gewachsen war. Ein wunderbares Symbol für das, was mit den menschlich-göttlichen Kräften geschah, daß selbst so dürre, so leblose Dinge wie Rosen, die man verdorrt am Wege finden kann, die scheinbar tot sind, wieder aufquellen, wieder aufsprießen durch den Christusimpuls, der eintritt in die Zeitenentwicklung.
Daß dem Menschen so erst gegeben war in Wirklichkeit, was ihm von Ursprung zugedacht war, das drückt sich aus in dem Jesu-Geburtsfest, in dem Fest des Jesukindleins.
Ehe Adam und Eva waren, war zugedacht der Menschheit,- so will man sagen in der Weihnachtslegende - dasjenige, was noch in der ganz unverdorbenen göttlichen Kindesnatur des Menschen liegt.
Aber in Wahrheit - wegen des Einflusses Luzifers - hat es die Menschheit erst erlangen können, nachdem der ganze Zeitenverlauf sich abgespielt hatte von Adam und Eva bis zum Mysterium von Golgatha.
Oh, man muß sagen, es erweckt tatsächlich eine tiefe Empfindung in unserer Seele, wenn wir, wie zusammengedrängt, in eine Nacht vom 24. Auf dem 25. Dezember für unser Nachdenken, für unser Nachempfinden das haben, was die Menschheit durch die luziferischen Kräfte geworden ist von Adam und Eva bis zur Geburt des Christus in dem Jesus.
Wenn wir das empfinden, dann empfinden wir schon genug die Bedeutung dieses Festes und empfinden auch, was man damit vor die Menschheit hinstellen konnte.
Es ist, wie wenn die Menschheit, wenn sie die Gelegenheit benützt, diese Marksteine der Zeit als Meditationsstoffe zu nehmen, wirklich einmal gewahr werden kann ihres reinen Ursprunges in den kosmischen Kräften des Universums.

Da den Blick hinaufhebend in die kosmischen Kräfte des Universums und ein wenig eindringend in die Theosophie durch wirkliche spirituelle Weisheit in die Geheimnisse des Universums, - da kann die Menschheit erst wieder reif werden, - das zu begreifen, daß eine höhere Stufe des Geburtsfestes des Jesus das ist, was als Christusfest einmal begriffen worden ist durch die Gnostiker, das Christusgeburtsfest, das am 6. Jannuar eigentlich gefeiert sein sollte, das Fest der Geburt des Christus im Leibe des Jesus von Nazareth.
Aber, wie um sich vertiefen zu können in die zwölf universellen Kräfte des Kosmos, stehen die zwölf heiligen Nächte da zwischen dem Christusfest und dem Fest, das am 6. Jannuar gefeiert sein sollte, das jetzt das Fest der Heiligen Drei Könige ist, und das eigentlich das charakterisierte Fest ist.
Wieder stehen sie da, diese zwölf heiligen Nächte, wie aus den verborgenen Seelentiefen der Menschheit festgesetzt, wie wenn sie sagen wollten: Empfindet alle Tiefe des Christusfestes, aber versenkt euch dann während der zwölf heiligen Nächte in die Geheimnisse des Kosmos!
Das heißt in das Land des Universums, aus dem der Christus heruntergezogen ist auf die Erde.
Denn nur, wenn die Menschheit den Willen haben wird, sich inspirieren zu lassen durch den Gedanken an den heiligen kindlichen Gottesursprung des Menschen, sich inspirieren zu lassen von jener Weisheit, welche in die zwölf Kräfte, in die zwölf heiligen Kräfte des Universums dringt, die symbolisch dargestellt sind in den zwölf Zeichen des Tierkreises, die sich aber nur in Wahrheit darstellen durch die spirituelle Weisheit  - nur, wenn sich die Menschheit vertieft in die wahre spirituelle Weisheit und der Zeiten Lauf, erkennen lernt im großen Weltenall und in einzelnen Menschen, nur dann wird zu ihrem eigenen Heile die Menschheit der Zukunft, durch Geisteswissenschaft befruchtet, die Inspiration finden, die da kommen kann von dem Jesu-Geburtsfest zum Eindringen in die zuversichtlichsten hoffnungsreichsten Zukunftsgedanken.
So dürfen wir das Weihnachtsfest auf unsere Seele wirken lassen als ein Inspirationsfest, als ein Fest, das uns den Gedanken des Menschenursprungs in dem heiligen göttlichen Menschenursprungskind so wunderbar vor die Seele führt.

Jenes Licht, das in der heiligen Nacht, als Symbol des Menschenlichtes, an seinem Ursprung selber uns erscheint, jenes Licht, das uns in den neueren Zeiten die Lichter des Weihnachtsbaumes symbolisieren: es ist zugleich, richtig verstanden, das Licht, das uns die besten, stärksten Kräfte für unsere nach dem wahren, echten Weltenfrieden, nach der wahren, echten Weltenhoffnung strebenden Seele geben kann.
Fühlen wir uns durch solche Gedanken an die Taten der Vergangenheit, an die Festsetzungen der Vergangenheit, gekräftigt durch das, was wir immer brauchen an Impulsen für die Zukunft:
Weihnachtsgedanken, Erinnerungsgedanken an der Menschheit Ursprung, Gedanken, zugleich wurzelhaft, um sich zu entfalten zur rechten, zur kräftigsten Seelenpflanze, zur echten Menschenzukunft.

Auszug aus einem Vortrag von Dr. Steiner in Berlin vom 21. Dezember 1911