Dreigliederung des sozialen Organismus
                       Auszug aus den Schriften und Vortägen von Dr. Rudolf Steiner
„ Die Kernpunkte der sozialen Frage“ und „Dreigliederung von Kultur, Politik und Wirtschaft“.
Wer heute über die soziale Frage nachdenkt, dem sollte vor Augen stehen, daß nach der Lehre der Tatsachen der neueren
und neuesten Zeit diese Frage nicht mehr als eine Frage, die bloß aus den Forderungen einzelner Menschengruppen
hervorgeht, sondern als eine Frage, die das geschichtliche Leben an die Menschheit stellt.
Das Erste, was notwendig ist, wenn der Mensch etwas zum Gemeinschaftswesen beitragen soll, ist, daß er die individuelle
Begabung, die individuelle Fähigkeit haben muß.
Das Zweite ist, daß er mit seinen Mitmenschen in Frieden auskommt, in Frieden mit ihnen zusammenleben kann.
Das Dritte ist, daß er seinen Platz finden kann von dem aus er mit seiner Arbeit mit seinem Wirken, mit seiner Leistung für
andere Menschen eintreten kann.
In Bezug auf das Erste ist der Mensch darauf angewiesen, daß die menschiche Gesellschaft seine Fähigkeiten und
Begabungen  ausbildet, daß sei seinen Geist ausbildet und den Geist, den sie in ihm ausbildet, zu gleicher Zeit zum Führer
für seine Arbeit macht.
Für das Zweite ist der Mensch darauf angewiesen, daß er sich in eine soziale Struktur einlebt, in der die Menschen sich so
verständigen können, daß sie miteinander in Frieden auskommen.

Das Erste führt uns auf das Gebiet des Geisteslebens.
Das Zweite führt in das Gebiet des Rechtslebens.
Das Dritte der sozialen Frage lernen wir als die Wirtschaftsfrage kennen.

Die soziale Frage lernen wir als eine Geistesfrage, als eine Rechtsfrage-oder Staatsfrage, eine politische
Frage, und als eine Wirtschaftsfrage kennen.

Ich darf, um dasjenige, was hier gerade als treibende Impulse einer umfassenden, allseitigen Beobachtung über die soziale
Frage charakterisiert werden soll, deutlich zu sagen, vielleicht von einem Vergleich ausgehen. Aber es wird zu beachten sein,
daß mit diesem Vergleich nichts anderes gemeint sein soll als eben ein Vergleich.
Ein solcher kann unterstützen das menschliche Verständnis, um es gerade in diejenige Richtung zu bringen, welche
notwendig ist, um sich Vorstellungen zu machen über die Gesundung des sozialen Organismus. Wer von dem hier
eingenommenen Gesichtspunkt betrachten muß den kompliziertesten natürlichen Organismus, den menschlichen
Organismus, der muß seine Aufmerksamkeit darauf richten, daß die ganze Wesenheit dieses menschlichen Organismus drei
nebeneinander wirksame Systeme aufzuweisen hat, von denen jedes mit einer gewissen Selbständigkeit wirkt. Diese drei
nebeneinander wirksamen Systeme kann man etwa in folgender Weise kennzeichnen.
Im menschlichen natürlichen Organismus wirkt als ein Gebiet dasjenige System, welches in sich schließt Nervenleben und
Sinnesleben. Man könnte es auch nach dem wichtigsten Glied des Organismus, wo Nerven-und Sinnesleben
gewissermaßen zentralisiert sind, den Kopforganismus
nennen.
Als zweites Glied der menschlichen Organisation hat man zu anzuerkennen, wenn man ein wirkliches Verständnis für sie
erwerben will, das, was ich nennen möchte das rhythmische System.
Es besteht aus Atmung, Blutzirkulation, aus all dem, was sich ausdrückt in rhythmischen Vorgängen des
menschlichen Organismus.
Als drittes System hat man dann anzuerkennen, alles, was als Organe und Tätigkeiten zusammenhängt mit dem
eigentlichen Stoffwechsel.

In diesen drei Systemen ist enthalten all dasjenige, was in gesunder Art unterhält, wenn es aufeinander organisiert ist, den
Gesamtvorgang des menschlichen Organismus. Die hier gemeinte Gliederung ist nicht eine solche nach räumlich
abgrenzbaren Leibesgliedern, sondern eine solche nach Funktionen des Organismus.
Unsere Denkgewohnheiten, unsere ganze Art, die Welt vorzustellen, ist noch nicht vollständig angemessen dem, was z.B. im
menschlichen Organismus sich als die innere Wesenheit des Naturwirkens darstellt.
Aber mit Bezug auf die Betrachtung und namentlich das Wirken des sozialen Organismus kann man nicht warten. Da muß
nicht nur bei irgendwelchen Fachmännern, sondern da muß in jeder Menschenseele- denn jede Menschenseele nimmt teil an
der Wirksamkeit für den sozialen Organismus- wenigsten eine instinktive Erkenntnis von dem vorhanden sein, was diesem
sozialen Organismus notwendig ist.
Ein gesundes Denken und Empfinden, ein gesundes Wollen und Begehren mit Bezug auf die Gestaltung des sozialen
Organismus kann sich nur entwickeln, wenn man, sei es auch mehr oder weniger bloß instinktiv, sich klar darüber ist, daß
dieser soziale Organismus , soll er gesund sein, ebenso dreigliedrig sein muß wie der natürliche Organismus.
Man könnte auch denken, der hier gegebenen Darstellung liege der Glaube zugrunde, der soziale Organismus solle von einer
grauen, der Naturwissenschaft nachgebildeten Theorie aus „aufgebaut“ werden. Das aber liegt dem, was hier gesprochen
wird, so fern wie nur möglich. Auf ganz anderes soll hingedeutet werden. Die gegenwärtige geschichtliche Menschenkrisis
fordert, daß gewisse Empfindungen entstehen in jedem einzelnen Menschen, daß die Anregung  zu diesen
Empfindungen von dem Erziehungs-und Schulsystem so gegeben werde, wie diejenige zur Erlernung der vier
Rechnungsarten.
Was bisher ohne die bewußte Aufnahme in das menschliche Seelenleben die alten Formen des sozialen Organismus ergeben
hat, das wird in der Zukunft nicht mehr wirksam sein. Es gehört zu den Entwicklungsimpulsen, die von der Gegenwart an
neu in das Menschenleben eintreten wollen, daß die angedeuteten Empfindungen von dem einzelnen so gefordert werden,
wie seit Langem eine gewisse Schulbildung gefordert wird.
Daß man gesund empfinden lernen müsse, wie die Kräfte des sozialen Organismus wirken sollen, damit dieser lebensfähig
sich erweist, das wird, von der Gegenwart an, von dem Menschen gefordert. Man wird sich ein Gefühl aneignen müssen, daß
es ungesund, antisozial ist, nicht sich mit solchen Empfindungen in diesen Organismus hineinstellen zu wollen.
Man kann heute von „Sozialisierung“ als von dem reden hören, was der Zeit nötig ist. Diese Sozialisierung wird kein
Heilungsprozeß, sondern ein Kurpfuscherprozeß am sozialen Organismus sein, vielleicht sogar ein Zerstörungsprozeß, wenn
nicht in die menschlichen Herzen, in die menschlichen Seelen einzieht wenigstens die instinktive Erkenntnis von der
Notwendigkeit der Dreigliederung des sozialen Organismus. Dieser Organismus muß, wenn er gesund wirken soll, drei
solche Glieder gesetzmäßig ausbilden.

Eines dieser Glieder ist das Wirtschaftsleben. Hier soll mit seiner Betrachtung begonnen werden, weil es sich ja ganz
augenscheinlich, alles übrige Leben beherrschend, durch die moderne Technik  und den modernen Kapitalismus in die
menschliche  Gesellschaft hereingebildet hat.
Dieses ökonomische Leben muß ein selbständiges Glied für sich innerhalb des sozialen Organismus sein, so relativ
selbständig, wie das Nervensinnessystem im menschlichen Organismus relativ selbständig ist. Zu tun hat es dieses
Wirtschaftsleben mit all dem, was Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsum ist.

Als zweites Glied des sozialen Organismus ist zu betrachten das Leben des öffentlichen Rechtes, das eigentliche politische
Leben. Zu ihm gehört dasjenige, was man im Sinne des alten Rechtstaates als das eigentliche Staatsleben bezeichnen könnte.
Während das Wirtschaftsleben mit all dem zu tun hat, was der Mensch braucht aus der Natur und aus seiner eigenen
Produktion heraus, mit Waren, Warenzirkulation und Warenkonsum, kann es dieses zweite Glied des sozialen Organismus
nur zu tun haben mit all dem, was aus rein menschlichen Untergründen heraus auf das Verhältnis des Menschen zum
Menschen bezieht.
Es ist wesentlich für die Erkenntnis der Glieder des sozialen Organismus, daß man weiß, welcher Unterschied besteht
zwischen dem System des öffentlichen Rechtes, das nur zu tun haben kann aus menschlichen Untergründen heraus mit dem
Verhältnis von Mensch zu Mensch, und dem Wirtschaftssystem, das nur zu tun hat mit Warenproduktion, Warenzirkulation,
Warenkonsum.
Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts-von dem
Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußern Luft sich
abscheidet von den Vorgängen im Nervensinnesleben.

Als drittes Glied, das ebenso selbständig sich neben die beiden anderen Glieder hinstellen muß, hat man im sozialen
Organismus das aufzufassen, was sich auf das geistige Leben bezieht.
Noch genauer könnte man sagen, weil vielleicht die Bezeichnung „geistige Kultur“ oder all das, was sich auf das geistige
Leben bezieht, durchaus nicht ganz genau ist; all dasjenige, was beruht auf der natürlichen Begabung des menschlichen
Individuums, was hineinkommen muß in den sozialen Organismus auf Grundlage dieser natürlichen, sowohl geistigen wie
der physischen Begabung des einzelnen menschlichen Individuums.

Das erste System, das Wirtschaftssystem, hat zu tun mit all dem, was da sein muß, damit der Mensch sein materielles
Verhältnis zur Außenwelt regeln kann.
Das zweite System hat zu tun mit dem, was das sein muß im sozialen Organismus, wegen des Verhältnisses von Mensch zu
Mensch.
Das dritte System hat zu tun mit all dem, was hervorsprießen muß und eingegliedert werden muß in den sozialen
Organismus aus der einzelnen menschlichen Individualität.
Ebenso wahr, wie es ist, daß moderne Technik und moderner Kapitalismus unserem gesellschaftlichen Leben eigentlich in
der neueren Zeit das Gepräge gegeben haben, ebenso notwendig ist es, daß diejenigen Wunden, die von dieser Seite her
notwendig der menschlichen Gesellschaft geschlagen worden sind, dadurch geheilt werden, daß man den Menschen und das
menschliche Gemeinschaftsleben in ein richtiges Verhältnis bringt zu den drei Gliedern dieses sozialen Organismus.
Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch
eine einseitige Wirksamkeit in das menschliche Leben sich besonders machtvoll hereingestellt.
Die anderen beiden Glieder des sozialen Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben Selbstverständlichkeit 
sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern.
Für sie ist es notwendig, daß der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen heraus die soziale Gliederung
vornimmt, jeder an seinem Ort, an dem Ort, an dem er gerade steht.
Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der sozialen Frage, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch seine soziale
Aufgabe in der Gegenwart und in der Zukunft.

Dasjenige, was das erste Glied des sozialen Organismus ist, das Wirtschaftsleben, das ruht zunächst auf der Naturgrundlage
geradeso, wie der einzelne Mensch mit Bezug auf dasjenige, was er für sich durch Lernen, durch Erziehung , durch das Leben
werden kann, ruht auf der Begabung seines geistigen und körperlichen Organismus.
Diese Naturgrundlage drückt einfach dem Wirtschaftsleben und dadurch dem gesamten sozialen Organismus sein Gepräge
auf.
Aber diese Naturgrundlage ist da, ohne daß sie durch irgendeine soziale Organisation, durch irgendeine Sozialisierung in
ursprünglicher Art getroffen werden kann. Sie muß dem Leben des sozialen Organismus so zugrunde gelegt werden, wie bei
der Erziehung des Menschen zugrunde gelegt werden muß die Begabung, die er auf verschiedenen Gebieten hat, seine
natürliche körperliche und geistige Tüchtigkeit.
Von jeder Sozialisierung, von jedem Versuch, dem menschlichen Zusammenleben eine wirtschaftliche Gestaltung zu geben,
muß berücksichtigt werden die Naturgrundlage.
Denn aller Warenzirkulation und auch aller menschlichen Arbeit und jeglichem geistigen Leben liegt zugrunde als ein erstes
elementarisches Ursprüngliches dasjenige, was den Menschen kettet an ein bestimmtes Stück Natur.
Man muß über den Zusammenhang des sozialen Organismus mit der Naturgrundlage denken, wie man mit Bezug auf Lernen
beim einzelnen Menschen denken muß über sein Verhältnis zur Begabung.
Man kann gerade sich dieses klar machen an extremen Fällen. Man braucht z.B. nur zu bedenken, daß in gewissen Gebieten
der Erde, wo die Banane ein naheliegendes Nahrungsmittel für die Menschen abgibt, in Betracht kommt für das menschliche
Zusammenleben dasjenige an Arbeit, was aufgebracht werden muß, um die Banane von ihrer Ursprungsstätte aus an einen
Bestimmungsort zu bringen und sie zu einem Konsummittel zu machen.
Vergleicht man die menschliche Arbeit, die aufgebracht werden muß, um die Banane für die menschliche Gesellschaft
konsumfähig zu machen, mit der Arbeit, die aufgebracht werden muß, etwa in unseren Gegenden Mitteleuropas, um den
Weizen konsumfähig zu machen, mit der Arbeit, die aufgebracht werden muß, so ist die Arbeit, die für die Banane
notwendig ist, gering gerechnet, eine dreihundertmal kleinere als beim Weizen.
Gewiß, das ist ein extremer Fall. Aber solche Unterschiede mit Bezug auf das notwendige Maß von Arbeit im Verhältnis zu
der Nahrungsgrundlage sind auch da unter den Produktionszweigen, die in irgendeinem sozialen Organismus Europas
vertreten sind - nicht in dieser radikalen Verschiedenheit wie bei Banane und Weizen, aber sie sind als Unterschiede da.
So ist es im Wirtschaftsorganismus begründet, daß durch das Verhältnis des Menschen zur Naturgrundlage seines
Wirtschaftens das Maß von Arbeitskraft bedingt ist, das er in den Wirtschaftsprozeß hineintragen muß.
Und man braucht ja nur z.B. zu vergleichen: In Deutschland, in Gegenden mit mittlerer Ertragsfähigkeit, ist ungefähr das
Erträgnis der Weizenkultur so, daß das Sieben bis Achtfache der Aussaat einkommt durch die Ernte; in Chile kommt das
Zwölffache herein, in Nordmexiko kommt das Siebzehnfache ein, in Peru das Zwanzigfache.

Dieses ganze zusammengehörige Wesen, welches verläuft in Vorgängen, die beginnen mit dem Verhältnis des Menschen zur
Natur, die sich fortsetzen in all dem, was der Mensch zu tun hat, um die Naturprodukte umzuwandeln und sie bis zur
Konsumfähigkeit zu bringen, alle diese Vorgänge und nur diese umschließen für einen gesunden sozialen Organismus sein
Wirtschaftsglied.
Dieses steht in sozialen Organismus wie das Kopfsystem, von dem die individuellen Begabungen bedingt sind, im
menschlichen Gesamtorganismus drinsteht.
Aber wie das Kopfsystem von dem Lungen-Herzsystem abhängig ist, so ist das Wirtschaftssystem von der menschlichen
Arbeitsleistung abhängig.
Wie nun aber der Kopf nicht selbständig die Atemregelung hervorbringen kann, so sollte das menschliche Arbeitssystem
nicht durch die im Wirtschaftsleben wirksamen Kräfte selbst geregelt werden.
Im dem Wirtschaftsleben steht der Mensch durch seine Interessen drinnen. Diese haben ihre Grundlage in seinen seelischen
und geistigen Bedürfnissen. Wie den Interessen  am zweckmäßigsten entsprochen werden kann innerhalb eines sozialen
Organismus, sodaß der einzelne Mensch durch diesen Organismus in der bestmöglichen Art zur Befriedigung  seines
Interesses kommt und er auch in vorteilhaftester Art sich in die Wirtschaft hineinstellen kann:
Diese Frage muß praktisch in den Einrichtungen des Wirtschaftskörpers gelöst sein.
Das kann nur dadurch sein, daß die Interessen sich wirklich frei geltend machen können und daß auch der Wille und die
Möglichkeit entstehen, das Nötige zu ihrer Befriedigung zu tun.
Die Entstehung der Interessen liegt außerhalb des Kreises, der das Wirtschaftsleben umgrenzt.
Sie bilden sich mit der Entfaltung des seelischen und natürlichen Menschenwesens.
Daß Einrichtungen bestehen, sie zu befriedigen, ist die Aufgabe des Wirtschaftslebens.
Diese Einrichtungen können es mit nichts anderem zu tun haben als allein mit der Herstellung und dem Tausch von Waren,
das heißt von Gütern, die ihren Wert durch das menschliche Bedürfnis erhalten. Die Ware hat ihren Wert durch
denjenigen, der sie verbraucht.
Dadurch, daß die Ware ihren Wert durch den Verbraucher erhält, steht sie in einer ganz anderen Art im sozialen Organismus
als anderes, was für den Menschen als Angehörigen dieses Organismus Wert hat. Man sollte unbefangen das
Wirtschaftsleben betrachten, in dessen Umkreis Warenerzeugnis, Warentausch und Warenverbrauch gehören.
Man wird den wesenhaften Unterschied nicht bloß betrachtend bemerken, welcher besteht zwischen dem Verhältnis von
Mensch zu Mensch, in dem der eine für den anderen Waren erzeugt, und demjenigen, das auf einem Rechtsverhältnis
beruhen muß.
Man wird von der Betrachtung zu der praktischen Forderung kommen, daß im sozialen Organismus das Rechtsleben völlig
von dem Wirtschaftsleben abgesondert gehalten werden muß.
Aus den Tätigkeiten, welche die Menschen innerhalb der Einrichtungen zu entwickeln haben, die der Warenerzeugung und
dem Warenaustausch dienen, können sich unmittelbar nicht die besten Impulse ergeben für die rechtlichen Verhältnisse, die
unter den Menschen bestehen müssen.
Innerhalb der Wirtschaftseinrichtungen wendet sich der Mensch an den Menschen, weil der eine dem Interesse des anderen
dient.
Grundverschieden davon ist die Beziehung, welche der eine Mensch zu dem anderen innerhalb des Rechtslebens hat.

Man könnte nun glauben, dieser vom Leben geforderten Unterscheidung wäre schon Genüge geschehen, wenn innerhalb der
Einrichtungen, die dem Wirtschaftsleben dienen, auch für die Rechte gesorgt werde, welche in den Verhältnissen der in
dieses Wirtschaftsleben hineingestellten Menschen zueinander bestehen müssen.
Ein solcher Glaube hat seine Wurzeln nicht in der Wirklichkeit des Lebens.
Der Mensch kann nur dann das Rechtsverhältnis richtig erleben, das zwischen ihm und anderen Menschen bestehen muß,
wenn er dieses Verhältnis nicht auf dem Wirtschaftsgebiet erlebt, sondern auf einem davon völlig getrennten Boden.
Er muß deshalb im gesunden sozialen Organismus neben dem Wirtschaftsleben und in Selbständigkeit ein Leben entfalten,
in dem die Rechte entstehen und verwaltet werden, die von Mensch zu Mensch bestehen.

Das Rechtsleben ist aber dasjenige des eigentlichen politischen Gebietes, des Staates.
Tragen die Menschen diejenigen Interessen, denen sie in ihrem Wirtschaftsleben dienen müssen, in die
Gesetzgebung und Verwaltung des Rechtsstaates hinein, so werden die entstehenden Rechte nur der
Ausdruck dieser wirtschaftlichen Interessen sein.
Ist der Rechtsstaat selbst Wirtschafter, so verliert er die Fähigkeit, das Rechtsleben der Menschen zu regeln. Denn seine
Maßnahmen und Einrichtungen werden dem menschlichen Bedürfnis nach Waren dienen müssen, Sie werden dadurch
abgedrängt von den Impulsen, die auf das Rechtsleben gerichtet sind.
Der gesunde soziale Organismus erfordert als zweites Glied neben dem Wirtschaftskörper das selbständige politische
Staatsleben.
In dem selbständigen Wirtschaftskörper werden die Menschen durch die Kräfte des wirtschaftlichen Lebens zu Einrichtungen
kommen, welche der Warenerzeugung und dem Warenaustausch in der möglichst besten Weise dienen.
In dem politischen Staatskörper werden solche Einrichtungen entstehen, welche die gegenseitigen Beziehungen zwischen
Menschen und Menschengruppen in solcher Art orientieren, daß dem Rechtsbewußtsein des Menschen entsprochen wird.
Der Gesichtspunkt, von dem aus die hier gekennzeichneten Forderungen nach völliger Trennung des Rechtsstaates von dem
Wirtschaftsgebiet gestellt wird, ist ein solcher, der im wirklichen Menschenleben drinnen liegt. Einen solchen Gesichtspunkt
nimmt derjenige nicht ein, der Rechtsleben und Wirtschaftsleben miteinander verbinden will.
Die im wirtschaftlichen Leben stehenden Menschen haben selbstverständlich das Rechtsbewußtsein.
Aber sie werden nur aus diesem heraus, und nicht aus den wirtschaftlichen Interessen, Gesetzgebung und Verwaltung im
Sinne des Rechtes besorgen, wenn sie darüber zu urteilen haben in dem Rechtsstaat, der als solcher an dem Wirtschaftsleben
keinen Anteil hat.
Ein solcher Rechtsstaat hat seinen eigenen Gesetzgebungs-und Verwaltungskörper, die beide nach den Grundsätzen
aufgebaut sind, welche sich aus dem Rechtsbewußtsein der neueren Zeit ergeben.
Er wird aufgebaut sein auf den Impulsen im Menschheitsbewußtsein, die man gegenwärtig die demokratischen nennt.
Das Wirtschaftsgebiet wird aus den Impulsen des Wirtschaftslebens heraus seine Gesetzgebungs-und
Verwaltungskörperschaften bilden.
Der notwendige Verkehr zwischen den Leitungen des Rechts-und des Wirtschaftskörpers wird erfolgen annähernd wie
gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner Staatsgebiete.
Durch diese Gliederung wird, was in dem einen Körper sich entfaltet, auf dasjenige, was im anderen entsteht, die notwendige
Wirkung ausüben können.
Diese Wirkung wird dadurch gehindert, daß das eine Gebiet in sich selbst das entfalten will, was ihm von dem anderen
zufließen soll.

Wie das Wirtschafsleben auf der einen Seite den Bedingungen der Naturgrundlage (Klima, geographische Beschaffenheit des
Gebietes, Vorhandensein von Bodenschätzen usw.) unterworfen ist, so ist es auf der anderen Seite von den
Rechtsverhältnissen abhängig, welche der Staat zwischen den wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen schafft.
Damit sind die Grenzen dessen bezeichnet, was die Tätigkeit des Wirtschaftslebens umfassen kann und soll.
Wie die Natur Vorbedingungen schafft, die außerhalb des Wirtschaftskreises liegen und die der wirtschafende Mensch
hinnehmen muß als etwas Gegebenes, auf das er erst seine Wirtschaft aufbauen kann, so soll alles, was im Wirtschaftbereich
ein Rechtsverhältnis begründet von Mensch zu Mensch, im gesunden sozialen Organismus durch den Rechtsstaat seine
Regelung erfahren, der wie die Naturgrundlage als etwas dem Wirtschaftsleben selbständig Gegenüberstehendes sich
entfaltet.
Gegenwärtig bewegt sich in dem wirtschaftlichen Kreislauf, in dem sich bloß Waren bewegen sollen, auch die menschliche
Arbeitskraft, und es bewegen sich auch Rechte.
Man kann gegenwärtig in dem Wirtschaftskörper, der auf der Arbeitsteilung beruht, nicht allein Waren tauschen gegen
Waren, sondern durch denselben wirtschaftlichen Vorgang auch Waren gegen Arbeit und  Waren gegen Rechte.
Wenn jemand durch Kauf ein Grundstück erwirbt, so muß das als ein Tausch des Grundstücks gegen Waren, für die das
Kaufgeld als Repräsentant zu gelten hat, angesehen werden.
Das Grundstück selber aber wirkt im Wirtschaftsleben nicht als Ware. Es steht in dem sozialen Organismus durch das Recht
drinnen, das der Mensch auf seine Benützung hat.
Dieses Recht ist etwas wesentlich anderes als das Verhältnis, in dem sich der Produzent einer Ware zu dieser befindet.
In dem letzteren Verhältnis liegt es wesenhaft begründet, daß es nicht übergreift auf die ganz andersgeartete Beziehung von
Mensch zu Mensch, die dadurch hergestellt wird, daß jemandem die alleinige Benützung eines Grundstücks zusteht.
Der Besitzer bringt andere Menschen, die zu ihrem Lebensunterhalt von ihm zur Arbeit auf diesem Grundstück angestellt
werden, oder die darauf wohnen müssen, in Abhängigkeit von sich.
Dadurch, daß man gegenseitig wirkliche Waren tauscht, die man produziert oder konsumiert, stellt sich eine Abhängigkeit
nicht ein, welche in derselben Art zwischen Mensch und Mensch wirkt.

Wer eine solche Lebenstatsache unbefangen durchschaut, dem wird einleuchten, daß sie ihren Ausdruck finden muß in den
Einrichtungen des gesunden sozialen Organismus.
Solange Waren gegen Waren im Wirtschaftsleben ausgetauscht werden, bleibt die Wertgestaltung dieser Waren unabhängig
von dem Rechtverhältnis zwischen Personen und Personengruppen.
Sobald Waren gegen Rechte eingetauscht werden, wird das Rechtsverhältnis selbst berührt.
Nicht auf den Tausch als solchen kommt es an - dieser ist das notwendige Lebenselement des gegenwärtigen, auf
Arbeitsteilung ruhenden sozialen Organismus -, sondern es handelt sich darum, daß durch den Tausch des Rechtes mit der
Ware das Recht selbst zur Ware gemacht wird, wenn das Recht innerhalb des Wirtschaftlebens entsteht.
Das wird nur dadurch verhindert, daß im sozialen Organismus einerseits Einrichtungen bestehen, die nur darauf abzielen,
den Kreislauf der Waren in der zweckmäßigsten Weise zu bewirken, und anderseits solche, welche die im Warenaustausch
lebenden Rechte der produzierenden, handeltreibenden und konsumierenden Personen regeln.
Diese Rechte unterscheiden sich ihrem Wesen nach gar nicht von anderen Rechten, die in dem vom Warenaustausch ganz
unabhängigen Verhältnis von Person zu Peron bestehen müssen.
Wenn ich meinen Mitmenschen durch den Verkauf einer Ware schädige oder fördere, so gehört das in das gleiche Gebiet des
sozialen Lebens wie eine Schädigung oder Förderung durch eine Tätigkeit oder Unterlassung, die unmittelbar nicht in einem
Warenaustausch zum Ausdruck kommt.

In der Lebenshaltung des einzelnen Menschen fließen die Wirkungen aus den Rechtseinrichtungen mit denen aus der rein
wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen.
Im gesunden sozialen Organismus müssen sie aus zwei verschiedenen Richtungen kommen.
In der wirtschaftlichen Organisation hat die aus der Erziehung für einen Wirtschaftszweig und die aus der
Erfahrung in demselben gewonnene Vertrautheit mit ihm für die leitenden Persönlichkeiten die nötigen
Gesichtspunkte abzugeben.
In der Rechtsorganisation wird durch Gesetz und Verwaltung verwirklicht, was aus dem Rechtsbewußtsein
als Beziehung einzelner Menschen oder Menschengruppen zueinander gefordert wird.

Die Wirtschafsorganisation wird Mensch mit gleichen Berufs-oder Konsuminteressen oder mit in anderer Beziehung gleichen
Bedürfnissen sich zu Genossenschaften zusammenschließen lassen, die im gegenseitigen Wechselverkehr die
Gesamtwirtschaft zustande bringen.
Diese Organisation wird sich auf assoziativer Grundlage und auf dem Verhältnis der Assoziationen aufbauen. Diese
Assoziationen werden eine bloß wirtschaftliche Tätigkeit entfalten.

Die Rechtsgrundlage, auf der sie arbeiten, kommt ihnen von der Rechtsorganisation zu. Wenn solche
Wirtschaftsassoziationen ihre wirtschaftlichen Interessen in den Vertretungs-und Verwaltungskörpern der
Wirtschaftsorganisation zur Geltung bringen können, dann werden sie nicht den Drang entwickeln, in die gesetzgebende oder
verwaltende Leitung des Rechtsstaates einzudringen (z.B. als Bund der Landwirte, als Partei der Industriellen, als
wirtschaftlich orientierte Sozialdemokratie), um da anzustreben, was ihnen innerhalb des Wirtschaftslebens zu erreichen nicht
möglich ist.
Und wenn der Rechtsstaat in gar keinen Wirtschaftszweig mitwirtschaftet, dann wird er nur Einrichtungen schaffen, die aus
dem Rechtsbewußtsein der zu ihm gehörenden Menschen stammen.
Auch wenn in der Vertretung des Rechtsstaates, wie es ja selbstverständlich ist, dieselben Personen sitzen, die im
Wirtschaftsleben tätig sind, so wird sich durch die Gliederung in Wirtschafts-und in Rechtsleben nicht ein Einfluß des
Wirtschafts-auf das Rechtsleben ergeben können, der die Gesundheit des sozialen Organismus so untergräbt, wie sie
untergraben  werden kann, wenn die Staatsorganisation selbst Zweige des Wirtschaftslebens aus dessen Interessen heraus
Gesetze beschließen.

Man kann durchschauen, wie die hier vorgebrachten Gedanken im wirklichen Leben der Menschheit begründet sind, wenn
man den Blick auf die Arbeit lenkt, welche der Mensch für den sozialen Organismus durch seine körperliche Arbeitskraft
verrichtet.
Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform hat sich diese Arbeit dem sozialen Organismus so eingegliedert, daß sie durch
den Arbeitgeber wie eine Ware dem Arbeitnehmer abgekauft wird.
Ein Tausch wird eingegangen zwischen Geld (als Repräsentant der Waren) und Arbeit.
Aber ein solcher Tausch kann sich in Wirklichkeit gar nicht vollziehen. Er scheint sich nur zu vollziehen. In
Wirklichkeit nimmt der Arbeitgeber von dem Arbeiter Waren entgegen, die nur entstehen können, wenn der
Arbeiter seine Arbeitskraft für die Entstehung hingibt.
Aus dem Gegenwert dieser Waren erhält der Arbeiter einen Anteil, der Arbeitgeber den anderen.
Die Produktion der Waren erfolgt durch das Zusammenwirken des Arbeitgebers und Arbeitnehmers.
Das Produkt des gemeinsamen Wirkens geht erst in den Kreislauf des Wirtschafslebens über.

Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Unternehmer notwendig. Dieses kann aber
durch die kapitalistische Wirtschaftsart in ein solches verwandelt werden, welches durch die wirtschaftliche Übermacht des
Arbeitgebers über den Arbeiter bedingt ist.
Im gesunden sozialen Organismus muß zutage treten, daß die Arbeit nicht bezahlt werden kann.
Denn diese kann nicht im Vergleich mit einer Ware einen wirtschaftlichen Wert erhalten. Einen solchen hat erst die durch die
Arbeit hervorgebrachte Ware im Vergleich mit anderen Waren.
Die Art, wie, und das Maß, in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner
Fähigkeit heraus und aus dem Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden.
Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staat aus in Unabhängigkeit von den Verwaltungen des
Wirtschaftlebens geschieht.
Durch eine solche Regelung wird der Ware eine Wertunterlage geschaffen, die sich vergleichen läßt mit der anderen, die in
den Naturbedingungen besteht.

Wie der Wert einer Ware gegenüber einer anderen dadurch wächst, daß die Gewinnung der Rohprodukte für dieselbe
schwieriger ist als für die andere, so muß der Warenwert davon abhängig werden, welche Art und welches Maß von Arbeit
zum Hervorbringen der Ware nach der Rechtsordnung aufgebracht werden dürfen.
Ein solches Verhältnis der Arbeit zur Rechtsordnung wird die im Wirtschaftsleben tätigen Assoziationen nötigen, mit dem,
was „rechtens ist“, als mit einer Voraussetzung zu rechnen.
Doch wird dadurch erreicht, daß die Wirtschaftsorganisation vom Menschen, nicht der Mensch von der Wirtschaftsordnung
abhängig ist.
Das Wirtschaftsleben wird auf diese Weise von zwei Seiten her seinen notwendigen Bedingungen unterworfen: vonseiten der
Naturgrundlage, welche die Menschheit hinnehmen muß, wie sie ihr   gegeben ist, und vonseiten der
Rechtsgrundlage, die aus dem Rechtsbewußtsein              heraus auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben
unabhängigen politischen Staates                 geschaffen werden soll.
Es ist leicht einzusehen, daß durch eine solche Führung des sozialen Organismus der wirtschaftliche Wohlstand sinken und
steigen wird je nach dem Maß von Arbeit, das aus dem Rechtsbewußtsein heraus aufgewendet wird.
Allein, eine solche Abhängigkeit des volkswirtschaftlichen Wohlstandes ist im gesunden sozialen Organismus notwendig. Sie
allein kann verhindern, daß der Mensch durch das Wirtschaftsleben so verbraucht werde, daß er sein Dasein nicht mehr als
menschenwürdig empfinden kann.
Und auf dem Vorhandensein der Empfindung eines menschenwürdigen Daseins beruhen in Wahrheit alle Erschütterungen im
sozialen Organismus.

In alles, was durch das Wirtschaftsleben und das Rechtsbewußtsein in der Organisation des sozialen Lebens hervorgebracht
wird, wirkt hinein, was aus einer dritten Quelle stammt:
aus den individuellen Fähigkeiten des einzelnen Menschen.
Dieses Gebiet umfaßt alles, was von den höchsten geistigen Leistungen bis zu dem, was in Menschenwerke hineinfließt durch
die bessere oder weniger gute körperliche Eignung des Menschen für Leistungen, die dem sozialen Organismus dienen.
Was aus dieser Quelle stammt, muß in den gesunden sozialen Organismus auf ganz andere Art einfließen als dasjenige, was
im Warenaustausch lebt, und was aus dem Staatsleben fließen kann.
Es gibt keine andere Möglichkeit, diese Aufnahme in gesunder Art zu bewirken, als sie von der freien Empfänglichkeit der
Menschen und von den Impulsen, die aus den individuellen Fähigkeiten selbst kommen, abhängig sein zu lassen.
Werden die durch solche Fähigkeiten erstehenden Menschenleistungen vom Wirtschaftsleben oder von der Staatsorganisation
künstlich beeinflußt, so wird ihnen die wahre Grundlage ihres eigenen Lebens zum größten Teil entzogen.
Diese Grundlage kann nur in der Kraft bestehen, welche die Menschenleistungen aus sich selbst entwickeln müssen. Wird die
Entgegennahme solcher Leistungen vom Wirtschaftsleben unmittelbar bedingt oder vom Staatsleben organisiert, so wird die
freie Empfänglichkeit für sie gelähmt.  Sie ist aber allein geeignet, sie in gesunder Form in den sozialen Organismus
einfließen zu lassen.
Für das Geistesleben, mit dem auch die Entwicklung der anderen individuellen Fähigkeiten im Menschenleben durch
unübersehbar viele Fäden zusammenhängt, ergibt sich nur eine gesunde Entwicklungsmöglichkeit, wenn es in der
Hervorbringung auf seine eigenen Impulse gestellt ist, und wenn es in verständnisvollem Zusammenhang mit den Menschen
steht, die seine Leistungen empfangen.
Worauf hier auf die gesunden Entwicklungsbedingungen des Geisteslebens gedeutet wird, das wird gegenwärtig nicht
durchschaut, weil der rechte Blick dafür getrübt ist durch die Verschmelzung eines großen Teils dieses Lebens mit dem
politischen Staatsleben.
Diese Verschmelzung hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte ergeben und man hat sich in sie hineingewöhnt.
Man spricht ja wohl von „Freiheit der Wissenschaft und des Lehrens“.
Aber man betrachtet es als selbstverständlich, daß der politische Staat die „freie Wissenschaft“ und das „freie Lehren“
verwaltet.
Man entwickelt keine Empfindung dafür, wie dieser Staat dadurch das Geistesleben von seinen staatlichen Bedürfnissen
abhängig macht.
Man denkt, der Staat schafft die Stellen, an denen gelehrt wird, dann können diejenigen, welche diese Stellen einnehmen,
das Geistesleben „frei“ entfalten.
Man beachtet, indem man sich an eine solche Meinung gewöhnt, nicht, wie eng verbunden der Inhalt des geistigen Lebens
ist mit dem innersten Wesen des Menschen, in dem er sich entfaltet -  wie diese Entfaltung nur dann eine freie sein kann,
wenn sie durch keine anderen Impulse in den sozialen Organismus hineingestellt ist als allein durch solche, die aus dem
geistigen Leben selbst kommen.
Durch die Verschmelzung mit dem Staatsleben hat eben nicht nur die Verwaltung der Wissenschaft und des Teils des
Geisteslebens, der mit ihr zusammenhängt, in den letzten Jahrhunderten das Gepräge erhalten, sondern auch der Inhalt
selbst.
Gewiß, was in Mathematik und Physik produziert wird, kann nicht unmittelbar vom Staat beeinflußt werden.
Aber man denke an die Geschichte, an die anderen Kulturwissenschaften:
Sie sind das Spiegelbild dessen geworden, was sich aus dem Zusammenhang ihrer Träger mit dem Staatsleben
ergeben hat aus den Bedürfnissen dieses Lebens heraus.
Gerade durch diesen ihnen aufgeprägten Charakter haben die gegenwärtigen wissenschaftlich orientierten, das Geistesleben
beherrschenden Vorstellungen auf das Proletariat als Ideologie gewirkt.

Eine solche, das geistige Leben des Menschen verödende Anschauung hört auf, wenn die Empfindung entstehen kann:
Im geistigen Gebiet waltet eine über das materielle Außenleben hinausgehende Wirklichkeit, die ihren Inhalt in sich
selber trägt.
Es ist unmöglich, daß eine solche Empfindung entsteht, wenn das Geistesleben nicht aus seinen eigenen Impulsen
heraus sich innerhalb des sozialen Organismus frei entfaltet und verwaltet. Kunst, Wissenschaft, Weltanschauung und
alles, was damit zusammenhängt, bedarf einer solchen selbständigen Stellung in der menschlichen Gesellschaft.
Die Freiheit des einen kann nicht ohne die Freiheit des anderen gedeihen.
Es ist ein anderes, wenn der die niederste Schulstufe versorgende Lehrer den Impulsen des Staatslebens folgt, ein anderes,
wenn er diese Impulse erhält aus einem Geistesleben heraus, das auf sich selbst gestellt ist.

Sowohl der politische Staat wie das Wirtschaftsleben werden den Zufluß aus dem Geistesleben, den sie brauchen, von dem
sich selbst verwaltenden geistigen Organismus erhalten.
Auch die praktische Bildung für das Wirtschaftsleben wird durch das freie Zusammenwirken desselben mit dem
Geistesorganismus ihre volle Kraft erst entfalten können.
Entsprechend vorgebildete Menschen werden die Erfahrungen, die sie im Wirtschaftslegebiet machen können, durch die
Kraft, die ihnen aus dem befreiten Geistesgut kommt, beleben.

Menschen mit einer aus dem Wirtschaftsleben gewonnenen Erfahrung werden den Übergang finden in die
Geistesorganisation und in derselben befruchtend wirken auf dasjenige, was so befruchtend werden muß.

Auf dem Gebiet des politischen Staates werden sich die notwendigen gesunden Ansichten durch eine solche freie Wirkung
des Geistesgutes bilden.
Der handwerklich Arbeitende wird durch den Einfluß eines solchen Geistesgutes eine ihn befriedigende Empfindung von der
Stellung seiner Arbeit im sozialen Organismus sich aneignen können. Er wird das Gefühl von der Zusammengehörigkeit
seiner Arbeit mit den organisierenden Kräften, die aus der Entwicklung individueller menschlichen Fähigkeiten stammen, in
sich aufnehmen können. Er wird auf dem Boden des politischen Staates die Rechte ausbilden, welche ihm den Anteil sichern
an dem Ertrag der Waren, die er erzeugt. Und er wird in freier Weise dem ihm zukommenden Geistesgut denjenigen Anteil
gönnen, der dessen Entstehung ermöglicht.

Auf dem Gebiet des Geisteslebens wird die Möglichkeit entstehen, daß dessen Hervorbringer von den Erträgnissen ihrer
Leistungen auch leben.
Was jemand für sich im Gebiet des Geisteslebens treibt, wird seine engste Privatsache bleiben.
Was jemand für den sozialen Organismus zu leisten vermag, wird mit der freien Entschädigung derer rechnen können,
denen das Geistesgut Bedürfnis ist.
Wer durch solche Entschädigung innerhalb der Geistesorganisation das nicht finden kann, was er braucht, wird übergehen
müssen zum Gebiet des politischen Staates oder des Wirtschaftslebens.
In das Wirtschaftsleben fließen ein die aus dem geistigen Leben stammenden technischen Ideen.
Sie stammen aus dem geistigen Leben, auch wenn sie unmittelbar von Angehörigen des Staats-oder Wirtschaftsgebietes
kommen.
Daher kommen all die organisatorischen Ideen und Kräfte, welche das wirtschaftliche und staatliche Leben befruchten.
Die Entschädigung für diesen Zufluß in die beiden sozialen Gebiete wird entweder auch durch das freie Verständnis derer
zustande kommen, die auf diesen Zufluß angewiesen sind, oder sie wird durch Rechte ihrer Regelung finden, welche im
Gebiet des politischen Staates ausgebildet werden.

Was der politische Staat selber für seine Erhaltung fordert, das wird aufgebracht werden durch das Steuerrecht. Dieses wird
durch eine Harmonisierung der Forderungen des Rechtsbewußtseins mit denen des Wirtschaftslebens sich ausbilden.
Die drei Glieder sollen nicht in einer abstrakten, theoretischen Reichstags-oder sonstigen Einheit des sozialen
Gesamtorganismus entstehen.
Im wirklichen Leben wirkt eben das scheinbar Widerspruchsvolle  zu einer Einheit zusammen.
Daher wird man zu einer Erfassung des Lebens des sozialen Organismus kommen, wenn man imstande ist, die
wirklichkeitsgemäße Gestaltung dieses sozialen Organismus mit Bezug auf Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit zu
durchschauen.
Dann wird man erkennen, daß das Zusammenwirken der Menschen im Wirtschaftsleben auf derjenigen Brüderlichkeit
ruhen muß, die aus den Assoziationen heraus entsteht.
In dem zweiten Glied, in dem System des öffentlichen Rechts, wo man es zu tun hat mit dem rein menschlichen
Verhältnis von Person zu Person, hat man zu erstreben die Verwirklichung der Idee der Gleichheit.
Und auf dem geistigem Gebiet, das in relativer Selbständigkeit im sozialen Organismus steht, hat man es zu tun mit der
Verwirklichung des Impulses der Freiheit.
So gesehen zeigen diese drei Ideale ihren Wirklichkeitswert.

Sie können sich nicht in einem chaotischen sozialen Leben realisieren, sondern nur in dem gesunden dreigliedrigen sozialen
Organismus.
Nicht ein abstrakt zentralisiertes Sozialgebilde kann durcheinander die Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
verwirklichen, sondern jedes der Glieder des sozialen Organismus kann aus einem dieser Impulse seine Kraft schöpfen.
Und es wird dann in fruchtbarer Art mit den anderen Gliedern zusammenwirken können.
Die Entwicklungskräfte, die in dem Werden der neueren Menschheit nach dieser Dreigliederung hindrängen, zum bewußten
sozialen Wollen zu machen, das fordern die deutlich sprechenden sozialen Tatsachen der Gegenwart.